Die Rede ist von einem 180er Ponton der Baureihe W 120, der am 23. Juni 1954 in Stockholm (Schweden) zum ersten Mal auf die Straße durfte. Erstbesitzer war Douglas Landgren, der das Fahrzeug seinerzeit bei der Stockholmer Mercedes-Benz Vertretung Philipsons zum Preis von 12.500 Schwedenkronen (SEK) kaufte, immerhin doppelt so viel wie der damalige Preis eines VW Käfer oder eines Saab 92. Ursprünglich sollte es ein britischer Daimler werden, aber Sohn Per setzte sich mit seinem Rat durch, der Ponton sei weniger rostanfällig. Die weitere Lebensgeschichte des Autos sollte ihm Recht geben
Bis 2006 blieb der Bulle, wie der Ponton in Schweden genannt wurde, im Besitz der Familie Landgren. Bis dahin wurde er in den 1990er Jahren lediglich einmal in seiner Originalfarbe Schwarz neu lackiert, von Rost gibt es bis heute ohne zwischenzeitliche Schweißarbeiten keine Spur!
In Schweden hat der Ponton den Kosenamen "Bulle"
Immerhin ist unser Bulle ein Fahrzeug aus dem ersten Produktionsjahr in einer Zeit, als Kinderkrankheiten bei einem neu entwickelten Auto keine Seltenheit waren (oder gilt das etwa heute auch noch?). Seit 1951, als Nachfolger der mit einem X-förmigen Ovalrohrrahmen ausgestatteten Modelle 170 und 220 entwickelt, hatte der ab Juli 1953 produzierte 180 im Gegensatz zu diesen eine selbsttragende Karosserie. Charakteristisch für die neue Bodengruppe waren die Formbleche, die den Kardantunnel bildeten und die durch Längsträger mit dem Boden verbunden wurden.
Die so entstandene Rahmen-/ Bodenkonstruktion war mit der Karosserie verschweißt. Diese bestand aus Stahlblechen mit Kastenprofilen sowie der Dachpartie. Die mittleren Formbleche des Rahmens mit den Innenkotflügeln waren weit nach vorn bis zu einem Querträger gezogen. Dahinter befand sich der aus Stahlblechen und Kastenprofilen bestehende Fahrschemel zur Aufnahme von Motor, Vorderradfederung und Lenkung, der mit der Karosserie verschraubt war. Diese Fahrschemel-Auslegung erinnerte an eine Pontonbrücke, wodurch die neue Baureihe zu ihrer Bezeichnung Ponton kam.
Als Vorderradaufhängung dienten die weitgehend vom 170 Sb übernommenen Querlenker mit Schraubenfedern und Teleskopdämpfern. Bei der Hinterachse blieb man bei der bekannten Pendelachse, wobei das Differentialgehäuse durch einen Gummiblock am Fahrgestell befestigt war. Radseitig waren zwischen Fahrgestell und Hinterachsgehäuse in Gummibuchsen gelagerte Führungslenker angeordnet.
Der Motor entsprach weitgehend dem des 170 Sb und hatte mit 52 PS die gleiche Leistung. Damit erreichte der 180 eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/Stunde.
Bei den Bremsen bestanden die Vorteile gegenüber dem Vorgängermodell in größeren ablaufenden Bremsbacken der Vorderräder sowie auf- und ablaufenden Backen an den Hinterrädern. Allerdings hatten die Bremstrommeln, bedingt durch die 13-Zoll-Räder, nur einen relativ geringen Durchmesser, was dem 180 einen oft beklagten Hang zum Fading verlieh.
Neues Styling mit integrierten Kotflügeln
Insbesondere die integrierten Kotflügel und die glatten Karosserieflächen des Ponton waren für Mercedes-Benz eine neue Stylingwelt. Die gegenüber dem 170 Sb um 22 % gewachsene Größe des Innenraums und der gegenüber dem 170 und 220 um 75 % vergrößerte Kofferraum ließen die Kunden den Wegfall der Trittbretter leicht verschmerzen. Der für damalige Verhältnisse niedrige Verbrauch von 8,8 l / 100 km sorgte für weitere Attraktivität des Neuen. Ein wenig Abbruch tat dem das 6 Volt Bordnetz. Entschädigt dafür wurden die Käufer durch ein Heizungssystem, das für beide Seiten getrennt regelbar war. Eine zu damaliger Zeit modische durchgehende vordere Sitzbank, die den Wagen zum Sechssitzer machte, konnte gegen Aufpreis bestellt werden
Insgesamt wurden 52.186 180er produziert bis er im Verkaufsjahr 1958 durch den 180a abgelöst wurde. Viele dieser Fahrzeuge wurden allerdings nur in halbfertiger Form ausgeliefert, um bei Fremdfirmen oder ausländischen Werken wie in Indien oder Irland komplettiert zu werden. Doch zurück zu unserem Alten Schweden: Ursprünglich ausgestattet mit einem seinerzeit recht verbreiteten Suchscheinwerfer zog er bis 2006 mit der Familie Landgren in Schweden seine Bahnen. Auch ein öffentlicher Auftritt in der Schwedischen Automobilzeitschrift Klassiker Bilar & Motorcyklar gehörte 2005 zu seinem nordischen Dasein.
2006 ging es dann wieder zurück in südlichere Regionen, und zwar ins Münsterland. Im Internet entdeckte ihn Dr. Chrisoph Hellbrügge aus Ascheberg. Ein 1954er Fahrzeug aus erster Hand, da gab es für Christoph, Restaurator und Kunsthistoriker sowie Liebhaber alten Blechs, kein Halten mehr. Ungeschweißter Originalzustand, weder Schweißarbeiten noch Neulackierung erforderlich - da musste er einfach zulangen.
Im Dezember 2006 kaufte er den Veteranen für 6.800 Euro und ab da gings ans Restaurieren, diesmal jedoch kein Gebäude oder Kunstwerk. Dass Christoph so viel wie möglich vom Originalzustand zu erhalten versuchte, sollte bei seinem beruflichen Hintergrund selbstverständlich sein. Fast das einzige Neuteil dürfte der Außenspiegel sein, mit dem Christoph die ursprüngliche Suchscheinwerfer-/ Spiegelkombination ersetzte. In vierjähriger Restaurationsarbeit mussten jedoch alle technischen Details, teils in Eigenarbeit, teils mit fachmännischer Hilfe, kontrolliert, überholt und, wo erforderlich, ausgetauscht werden, eine Generalüberholung des Motors sowie der Hinterachse gehörten mit dazu.
Seit September 2008 durfte der "Bulle" dann wieder auf die Weide (oder doch besser auf die Straße), obwohl damals noch nicht alle Restaurierungsarbeiten abgeschlossen waren. Aber solch ein Oldie wird ja eigentlich nie fertig, es sei denn, man kauft ihn besser als Neu aus einer Edelschmiede. Aber das ist nicht Christophs Welt, weder im Beruf noch beim Hobby.
Der "Alte Schweden" spult jährlich etwa 3.000 Kilometer ab
Während Veranstaltungen seiner zwei Oldtimer Clubs (Mercedes-Benz Veteranen Club (MVC) und Mercedes-Benz InteressenGemeinschaft (MBIG)) oder bei anderen Hobbyfahrten bewegt Christoph den "Alten Schweden" jährlich etwa 3.000 Kilometer und daneben arbeitet er augenblicklich an der Restaurierung eines 170 DS . Auch der wird sicherlich sein Alter nach einiger vorsichtiger Kosmetik wieder in Würde und Patina auf die Straße bringen. Bei Christoph kann man da sicher sein.
Text: Friedrich W. Thüner
Fotos: Friedrich W. Thüner, Christoph Hellbrügge
Mercedes-Fans Facts
1954 Mercedes-Benz 180 (W120)
Antrieb: Vierzylinder Reihe, 1.767 ccm, 52 PS bei 4.000 U/min, Viergang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb
Fahrwerk: Einzelradaufhängung mit Schraubenfedern und Teleskopdämpfern vorn, Zweigelenk-Pendelachse mit Schraubenfedern und Teleskopdämpfern hinten
Bremsen: Hydraulische Trommelbremsen vorn und hinten
Räder: Stahlblech 4 ½ K x 13 mit Vredestein 6.40/700 R 13
Karosserie: Selbsttragende Stahlblechkarosserie auf Rahmen-/Bodenkonstruktion mit separatem Fahrschemel
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