Der Attraktion des Pariser Automobilsalons 1996 hieß „SLK“: Ständig von Menschentrauben umlagert, die das revolutionäre Stahlklappdach des damals brandneuen Roadsters in Aktion sehen wollten.
In dessen Schatten stand die Präsentation der, ebenfalls neuen, Individualisierungs-Linie „Designo“, bei welcher der (zahlungskräftige) Kunde unter außergewöhnlichen Lackierungen, Polstern sowie farbigen Holzzierteilen etwa in Grün, Blau oder Orange wählen durfte.
Handarbeit aus der Designo-Manufaktur
Dafür brachten die Stuttgarter ein, eigens in Handarbeit mit voller Designo-Ausstattung hochgerüstetes Showfahrzeug mit nach Paris: Ein CL 420 Coupé der Baureihe 140. Schon äußerlich durch die ungewöhnliche Farbe „Designo Purpur“ auffallend, setzen sich die Besonderheiten auch im Innenraum fort. Dort harmoniert die zweifarbige purpur-schwarze Lederausstattung samt abgesetzten Ziernähten mit den Holzzierteilen in „Designo Magic Eyes schwarz“, die auch Lenkrad und Wählhebel umfassen.
Nach Ende des Autosalons schließt sich der Kreis zum Anfangs erwähnten SLK, von dem Mercedes ein quietschgelbes Exemplar ausstellte. In genau dieses verliebte sich die Gattin eines französischen Großindustriellen, doch der Erfüllung dieser Liebe standen zwei Jahre Lieferfrist für den heißbegehrten Roadster im Wege, dessen Produktion in Bremen gerade anlief.
Offensichtlich liebte der Ehemann seine cabrioverrückte Frau nicht weniger, denn er ließ seine guten Kontakte zu Mercedes-Frankreich spielen und fragte, ob man den gelben Messe-SLK kaufen könne? Die sparsamen Schwaben stimmten zu, wahrscheinlich mit Blick auf die Kosten für den Rücktransport. Vorausgesetzt, er nähme alle Ausstellungs-Autos im Paket?
Rendezvous in Paris
Gesagt getan! Das Coupé fand den Weg in den Fuhrpark der Industriellenfamilie, die es aber nur bis 2002 für Langstrecken nutzte und danach in der Garage verstauben ließ. Bis Mercedes-Fan Elmar Gehrke den CL 420 dort 2016 entdeckte.
"Dem Wagen sah man deutlich an, dass er wenig Liebe bekommen hatte“, erzählt Elmar. „Ganz traurig schaute er mich mit seinen großen Mörderbienen-Scheinwerfern an. Innen wie Außen total verschmutzt, ringsherum Kratzer und Parkrempler sowie Rost an Heckdeckel und Kotflügel.“
Aber unter dem Dreck verbarg sich eine Perle mit nur gut 100.000 scheckheftgepflegten Kilometern. Dazu im absoluten Originalzustand, denn selbst die 16 Zoll Felgen und das Kassettenradio stammten noch aus der Erstauslieferung.
„Die Datenkarte beweist die ungewöhnliche Historie“, erklärt Elmar. „Detailliert ist dort die interne Bestellung als Standwagen mit Sonderwünschen und spezieller Gütekontrolle aufgeführt. Neben den 2 Abweichungen vom Serienmodell und der Designo-Ausstattung stehen dort sogar alle beteiligten Abteilungsleiter mit Telefondurchwahl“.
Langer Weg zur Perfektion
Wieder zurück in Deutschland, bekommt der CL nicht nur eine große Inspektion mit Wechsel aller Flüssigkeiten, Filter und sonstiger Verschleißteile, sondern auch eine Getriebespülung. Schließlich lautete das Ziel „Jahreswagenzustand“, wofür das gesamte Fahrwerk überholt und der Hinterachsträger sandgestrahlt und pulverbeschichtet wird. Auch eine ordentliche Konservierung durfte nicht fehlen.
Über ein Jahr dauert es, bis eine Komplettlackierung das Coupé wieder neu erstrahlen ließ und die Restaurierung abrundete.
Anmerkung von Classic Car Analytics zur Grafik: Lange stand das 140er Coupé im Schatten seines Vorgängers, dem C126. Komplexe Technik und teils hohe Wartungskosten haben dazu beigetragen, daß originale Fahrzeuge mit belegbarer Historie und gutem Zustand spürbar schwieriger zu finden sind. Wurde das Design anfangs mitunter kritisch beurteilt, kann man heute eine gewisse Langlebigkeit der Formensprache feststellen. All das, sowie der hervorragende Komfort des Coupés, haben die Werte dieser Baureihe in den letzten Jahren stetig steigen lassen. Ob sich die Werte ebenso entwickeln, wie die des "Übervaters" 126 Coupé, bleibt abzuwarten.
Der enorme Aufwand spiegelt sich im prallen Rechnungsordner wider, allein die verbauten Mercedes-Originalteile summieren sich auf einen satten fünfstelligen Betrag. Ein arbeitsmäßiger Albtraum war der Tausch des Klimaverdampfers, weil dafür das gesamte Armaturenbrett raus musste – Mercedes veranschlagt dafür 20 Arbeitsstunden.
„Dafür gab es im Innenraum außer einer gründlichen Reinigung nichts zu tun“, so der stolze Besitzer. „Das Holz war frei von Kratzern, auch das Leder ohne Spuren. Zur Herausforderung wurde hingegen die Beschaffung einer alten SIM-Karte, mit der das 20 Jahre alte D-Netz Autotelefon funktioniert.“
Das Prospekt von 1996 verrät, dass man damals allein für das Designo-Paket aus Lack, Leder und Holz (15.000 D-Mark Aufpreis!) einen neuen Opel Corsa hätte kaufen können. Zusätzlich zum ohnehin schon happigen Grundpreis von über 156.000 Mark. Alles inklusive 15 % Mehrwertsteuer - lang ist es her…
Unikat mit Historie
Eine Recherche förderte zutage, das überhaupt nur 14 Exemplare der W140-S-Klasse in „Designo Purpur“ lackiert wurden – Coupés und Limousinen zusammengerechnet. Mit dem dazu passenden Leder und Sonderholz dürfte es sich um ein Unikat handeln, wie es kein zweites Mal in Sindelfingen vom Band lief. Daimler steuerte zur die Vervollständigung der Historie ein Bild aus dem Konzernarchiv bei, das den Wagen auf dem Pariser Mercedes-Messestand zeigt.
Elmar holt das restaurierte Einzelstück nur bei schönem Wetter für Treffen oder Ausfahrten aus der Garage. „An einem Sommertag mit offenen Schiebedach und den voll versenkbaren hinteren Seitenscheiben auf der Landstraße dahingleiten, den leise säuselnden V8 mit 279 PS und gute Musik aus dem Bose-Sound-System genießen – was gibt es Schöneres?“
Trotzdem denkt er über über einen Verkauf des Coupes nach, denn das nächste Projekt steht schon in den Startlöchern…
Mercedes-Fans Technische Daten
Fahrzeugtyp: Mercedes-Benz CL 420( W140)
Baujahr: 1996
Motor: V8-Motor, Hubraum: 4.196 ccm, 279 PS
Getriebe: 5-Gang-Automatik
Bremsen:Serie
Räder: Mercedes-Benz „Gildun“ in 7,5 x 16 ET 51
Reifen:
Fahrwerk:Serie
Karosserie:Lackierung in „Designo Purpur“
Innenraum: Original-Lederausstattung zweifarbig „Designo Purpur“ inkl. Fußmatten mit Designo-Schriftzug; Zierteile in „Designo Magic Eyes schwarz“ inkl. Holzlenkrad und Schalthebel
ICE: Mercedes Kassettenradio „Exquisit“, Bose-Sound-System, CD-Wechsler im Kofferraum, D-Netz Autotelefon Nokia 6081
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