Im Jahr 1954 erringt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft den Weltmeister-Titel. Niemand ahnt jedoch beim Anlauf der Fertigung, dass auch der neue Omnibus Mercedes-Benz O 321 H das Zeug zum Weltmeister hat: Einschließlich der Fahrgestelle und der Fertigung im Ausland erreicht der vielseitige Omnibus in seiner langen Laufbahn von 16 Jahren weltweit eine Stückzahl von annähernd 30 000 Exemplaren mehr als jeder andere Omnibus zuvor.
So richtig im Trend der Zeit liegt Mercedes-Benz aber erst wieder mit dem mittelgroßen, neunreihigen Frontlenkerbus O 321 H, der die Kundschaft durch seinen außerordentlich üppigen Gepäckraum unter dem Fußboden des Passagierabteils beeindruckt. Er resultiert aus der neuen selbsttragenden Bauweise, bestehend aus Rahmen-Bodenanlage und mit fest darauf verschweißtem Aufbau von mittragender Funktion. Dass Kässbohrer aus Ulm bereits 1952 mit einem ersten Setra herausgekommen war, beschleunigt das Erscheinen des O 321 H (nur drei Jahre nach der Vorstellung des O 6600) enorm. Setra steht übrigens für selbsttragend.
Der Kunde ist König - und das Produkt wird zum Erfolg
Als Stadtlinienbus dreht dieser O 321 H 1960 in Konstanz seine Runden.
Vor allem im Styling setzt der 1954 vorgestellte O 321 H im Vergleich zur Konkurrenz Maßstäbe. Die Mercedes-Designer beschränken sich deshalb bei der Verwendung von Chrom, bei der die anderen prassen, avantgardistisch auf ein Minimum. Die harmonische Form soll schließlich aus sich selbst heraus wirken. Händler und Kunden sehen das aber ganz anders und fragen vehement nach dem üblichen Lametta. Daimler-Benz lässt sich nicht lange bitten, kommt diesen Wünschen nach und erhöht zugleich den Listenpreis nicht zu knapp. Sodann läuft der Absatz plötzlich prächtig.
Omnibusse bauen fortan nicht mehr aus Lastkraftwagen auf
Heimat der Omnibusse: Bild eines Presseempfangs anlässlich der Vorstellung des Mercedes-Benz Typ O 321 H am 6. Dezember 1954 in Mannheim.
Es ist der Nikolaustag im Dezember 1954, als der erste O 321 H aus dem Werk Mannheim rollt, das kurz zuvor zum zentralen Omnibuswerk der damaligen Daimler-Benz AG erklärt worden war. Mit seiner Semi-Integralbauweise verabschiedet sich der O 321 H von der bis gepflegten Chassisbauweise das Ende der Gemeinsamkeiten von Omnibussen und Lastwagen ist vollzogen von den Antriebsaggregaten einmal abgesehen. Eingeläutet hatte diesen Schritt als Frontlenker mit Heckmotor ja bereits einige Jahre zuvor der Mercedes-Benz O 6600 H, sein Aufbau jedoch ruhte ganz nach herkömmlicher Art auf einem Leiterrahmenchassis.
Grundlage des O 321 H ist dagegen ein Bodenrahmen, der für sich gesehen selbsttragend konstruiert ist. Mit diesem Rahmen von hoher Festigkeit wird der Aufbau fest verschweißt. Beide Komponenten zusammen ergeben einen sehr steifen Karosseriekörper. Ergebnis der Konstruktion ist eine höhere Stabilität, geringeres Gewicht und durch Entfall der Chassis-Längsträger ein größerer Gepäckraum zwischen den Achsen. Schraubenfedern an der Vorderachse anstelle der bisher verwendeten Blattfedern verbessern den Fahrkomfort. Mit dem O 321 H beginnt eine neue Ära der Omnibusse von Mercedes-Benz.
Gleichzeitig bietet der separate Bodenrahmen des neuen Omnibusses die Chance, den klassischen Aufbauern weiterhin Fahrgestelle zur Verfügung zu stellen. Die Karossiers im In- und Ausland nutzen diese Möglichkeit gerne für individuelle Aufbauten von Omnibussen aller Art.
Doch auch der originale Mercedes-Benz O 321 H als Komplettfahrzeug mit Stern ist ein echter Blickfang. Die rundliche Karosserie sieht ausgesprochen harmonisch aus. Der markante ovale Grill mit dem großen Markenemblem fasst die Rundscheinwerfer ein. Er ziert auch die neuen Frontlenker-Lkw der fünfziger Jahre, erinnert deutlich an den legendären 300 SL und begründet im Ursprung ein Omnibus-Markengesicht bis zum modernen Reisebus Mercedes-Benz Travego 50 Jahre nach der Premiere des
O 321 H.
Der O 321: Vom Stadtlinienbus bis zum Reisewagen
Mercedes-Benz Typ O 321 H in Sonderausführung mit Schiebedach, 1954.
Zur Zeit des Serienanlaufs des Mercedes-Benz O 321 H sind Omnibusse längst noch nicht so hoch spezialisiert wie heute, eine einzige Baureihe muss die ganze Spannweite vom Stadtlinienbus bis zum Reisewagen abdecken. Der O 321 H bewältigt diese Aufgabe mit Bravour. So gibt es ihn einerseits mit breiten Innenfalttüren vor der Hinterachse, Zielschildkasten und einer nüchtern-funktionellen Innenausstattung als Linienbus. Andererseits fährt er als ebenso eleganter wie komfortabler Reisebus mit luftiger Dachrandverglasung, Einstieg nach der Hinterachse, Schlagtüren, Gepäcknetzen und fantasievollen mehrfarbigen Lackierungen vor.
Die Geschichte des O 321 H beginnt trotz seiner zahlreicher Ausstattungsvarianten mit nur einem Modell, 9,23 Meter lang mit 4,18 Metern Radstand aus heutiger Sicht ein Midibus. Zwei Jahre nach der Vorstellung aber legt Daimler-Benz mit der verlängerten Variante O 321 HL nach. Radstand und Länge wachsen jeweils um knapp 1,5 Meter. Fasste der Reisbus bis dahin maximal 37 Fahrgäste, so kommen nun dank zwei weiteren Reihen bis zu 45 Passagiere im O 321 HL mit 10,6 Meter Länge unter.
Im Heck arbeitet jeweils ein längs eingebauter Vorkammer-Dieselmotor. Der Reihensechszylinder aus der Baureihe OM 321 leistet aus 5,1 Liter Hubraum 110 PS. Wünschen nach höherer Leistung entspricht das Unternehmen ab 1962: Dann kommt wahlweise der größere Reihenmotor OM 322 mit 126 PS aus 5,7 Liter Hubraum zum Einsatz. Die Kraftübertragung obliegt bei beiden Triebwerken einem vollsynchronisierten Fünfganggetriebe.
Nicht nur Länge und Technik wandeln sich, auch die Optik des Mercedes-Benz
O 321 H verändert sich mit den Jahren. Treten die ersten Exemplare betont schlicht an, so schmückt speziell den Reisebus mit der Zeit immer mehr Chrom. Dies gilt für die Einfassung des Kühlergrills ebenso wie für eine breite Blende unterhalb der Frontscheibe. Sie läuft seitlich aus und markiert überdeutlich die Gürtellinie des Omnibusses. Auch dank mehrerer Facelifts gewinnt der O 321 H mit den Jahren an Profil. Die anfangs flache Frontscheibe wird ab 1957 größer und weiter nach unten gezogen. Sie wächst 1961 nochmals, diesmal jedoch nach oben, was den Fahrgästen eine bessere Sicht verschafft. Ein neues Heck mit einer großen, nun einteiligen Scheibe erhält der O 321 H im Jahr 1963. Dank eines im mittleren Bereich erhöhten Dachs wächst parallel dazu die Stehhöhe. Doch zu dieser Zeit nähert sich die große Laufbahn des O 321 H in Europa bereits dem Ende. Mit den reinen Linienbussen O 317 und O 322 begleiten ihn zu dieser Zeit bereits die ersten hoch spezialisierten Omnibusse.
Auch Brasilien ist Fan vom O 321 H: Dort wird der Omnibus ebenfalls gebaut!
Lebendige Omnibusgeschichte in Mannheim: Oldtimertreffen in Mannheim (O 321 H)
Während seiner langen Geschichte schlägt der O 321 H auch eine internationale Karriere ein. Das Omnibuswerk in Mannheim verlassen mehr als 30 000 Exemplare des Bestsellers, etwa zwei Drittel davon als Komplettbusse, ein Drittel als Fahrgestelle für Aufbauten. Viele dieser Omnibusse fahren in den Export in europäische Länder, nach Afrika und Asien. Im Jahr 1965 liefert das Werk außerdem 116 Teilesätze nach Griechenland und vier nach Argentinien. Eine völlig andere Größenordnung erreichen die umfangreichen Lieferungen nach Brasilien: Mehr als 11.000 Teilesätze gehen zwischen 1957 und 1970 per Schiff über den Atlantik. Insgesamt fertigt die damalige Daimler-Benz AG exakt 29.586 Einheiten des Mercedes-Benz O 321 H/HL eine wirklich weltmeisterliche Zahl.
Fotos: Daimler AG
11 Bilder Fotostrecke | Der Omnibus-Weltmeister: Mercedes-Benz O 321 H:
1 Kommentar
2FAST4YOU
12. Juni 2014 09:50 (vor über 10 Jahren)
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