Emil Jellinek ist ein junger Mann mit einem bereits mondänen Lebensstil, als 1886 das Automobil erfunden wird. Er ist fasziniert von dem neuen Produkt und hat es seit dessen Erscheinen: Nach ersten Versuchen mit einem Dreirad von De Dion kauft er einen vierrädrigen Benz Viktoria, den es von 1893 an gibt. Doch recht zufrieden ist er mit den neuartigen Fahrzeugen noch nicht: Sie bleiben seiner Meinung nach unter ihren Möglichkeiten, entwickeln nicht ihr volles Potenzial. Unter anderem auch vom Benz spricht er als „Ungeheuer“ und vergleicht ihn mit einer kriechenden Spinne.
Schließlich wird Jellinek 1896 über eine Zeitungsannonce auf die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) aufmerksam. Er reist nach Cannstatt und bestellt zwei Wagen mit Riemenantrieb, „einen vierpferdigen und einen neunpferdigen“, die 40 km/h auf „glatter Straße“ schaffen sollen – für das auslaufende 19. Jahrhundert ist das unerhört schnell. In Nizza, wo Emil Jellinek den größten Teil des Jahres verbringt und das zu dieser Zeit vor allem im Winter ein Treffpunkt der „Haute Volée“ Frankreichs und Europas ist, finden die pferdelosen Wagen großen Anklang.
Von 1897 an wirbt Jellinek für die Daimler-Automobile in den höchsten Kreisen der Gesellschaft und ist als selbständiger Händler tätig. So kaufen die Rothschild-Familie und weitere bekannte Persönlichkeiten Wagen bei ihm. Bis zum Tode Gottlieb Daimlers im Jahr 1900 setzt Jellinek auf diese Weise immerhin 34 Autos ab. Das verschafft ihm Gewicht der DMG gegenüber, und er fordert von Daimler und dem Konstrukteur Wilhelm Maybach immer wieder technische Neuerungen. Hierbei kombiniert er seine Fähigkeit der Fahrzeugbeurteilung mit seinem feinen Gespür für den Markt. Insgesamt kann man ihn durchaus als Marketingstrategen bezeichnen.
Jellinek überzeugt schließlich Daimler und Maybach davon, dass die Zukunft des Automobils in der Geschwindigkeit und Eleganz liegt. „Als ich erschien, waren die Daimlerwagen solid, gebrauchsfähig und betriebssicher, aber bloß theoretische Wagen“, wird er zitiert. In der Geschwindigkeit sieht er allerdings nicht den Anreiz, unvorsichtig zu sein, sondern vielmehr den eigentlichen Sinn eines Motorfahrzeugs: „Wenn ich aus einem Automobil nicht mehr heraushole als aus einem Gespann, kann ich ebenso gut wieder mit Pferden fahren!“ Außerdem regt er an, dass der Erfinder des Automobils mit eigenen Wagen und unter eigenem Namen Rennen und Zuverlässigkeitsfahrten bestreiten soll, denn: „Rennen machen den Namen eines Werks und einer Marke.“
Die Geburtsstunde der Marke Mercedes
Jellinek wird selbst aktiv. Für eine Rennveranstaltung in Nizza im Jahr 1899 werden für ihn zwei Daimler „Phönix“ angefertigt. Sie haben jeweils eine Leistung von 21 kW – für damalige Verhältnisse sehr viel, die Fahrzeuge gelten damit als Sport- oder Rennwagen. Zur Unterstützung schickt ihm die DMG den mit dem Typ Phönix bestens vertrauten Werkmeister Wilhelm Bauer. Dieses Rennen gilt als Geburtsstunde der Marke Mercedes. Die verbreitete Variante der Namensfindung besagt, dass Jellinek sich unter dem Pseudonym „Monsieur Mercédès“ anmeldet – eine in der damaligen Zeit durchaus übliche Verschleierung der Rennteilnehmer. Mercedes ist der Name seiner Tochter und „klingt schön spanisch. Spanien hat einen Ehrenplatz unter den Grillen meines Vaters“, berichtet Guy Jellinek-Mercedes. „Er beherrscht die Sprache und spricht sie mit Vorliebe.“
Allerdings reicht es für die Wagen aus dem Hause Daimler weder in der Geschwindigkeitsprüfung noch im Bergrennen für einen Sieg. Das spornt Jellinek an: Er mischt sich kräftig in die Modellpolitik der des Unternehmens ein und fordert von der DMG stärkere und schnellere Fahrzeuge. Ende März 1900 kommt es in der Rennwoche von Nizza zu einer Katastrophe. Beim Bergrennen Nizza – La Turbie verunglückt der Daimler-Werksfahrer Wilhelm Bauer tödlich in dem als „Mercédès II“ gemeldeten Wagen. Beifahrer Hermann Braun, der sich mit dem zweiten gemeldeten Daimler „Mercédès I“ bereits beim Rennen Nizza –Marseille überschlagen hatte, bleibt auch diesmal unverletzt. Die erste Reaktion aus Cannstatt ist, die überzogenen Motorleistungen für den Unfall verantwortlich zu machen und künftig allen Schnellfahrten fernzubleiben. Emil Jellinek überzeugt jedoch Wilhelm Maybach – Gottlieb Daimler ist kurz zuvor Anfang März verstorben – dass der hohe Schwerpunkt des Wagens für das Unglück verantwortlich gewesen ist.
Die DMG gibt dem Drängen Jellineks nach, der am 2. April 1900 den Auftrag gibt, einen neuartigen Wagen zu entwickeln: Wenigstens 26 kW Leistung, leichter Motor, niedrigerer Schwerpunkt – kurz: leicht, schön und schnell soll er sein. Auf den Vorschlag Jellineks hin soll die neue Baureihe den Namen „Daimler-Mercedes“ führen: Somit taucht im Jahr 1900 „Mercedes“ erstmals als eigenständiger Markenname auf, nicht als Bezeichnung einzelner Wagen oder Fahrer.
Von April 1900 an ist Emil Jellinek somit der Generalvertreter für Österreich-Ungarn, Frankreich, Belgien und die USA – also „praktisch für die ganze Welt“, wie ein Chronist schreibt. Er selbst ist österreichisch-ungarischer Staatsbürger. In den Ländern, in denen er die alleinige Vertretung hat, werden die Wagen unter dem Namen „Mercedes“ verkauft, in allen übrigen hingegen zunächst als „neuer Daimler“. Bald schon wird aber in allen Ländern nur über „Mercedes-Wagen“ gesprochen.
„Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten“
Der erste neue Wagen vom Typ 35 PS wird am 22. Dezember 1900 an Jellinek geliefert. Dieser von Wilhelm Maybach entwickelte neue „Mercedes“ sorgt zu Beginn des Jahrhunderts für Furore: Es ist das erste moderne Automobil der Welt. Auf der Rennwoche in Nizza Ende März 1901 zeigen die Wagen mit Namen Mercedes dann einem großen Publikum, was in ihnen steckt: Mit vier ersten und fünf zweiten Plätzen sind die Daimler-Wagen eine Klasse für sich – und zwar gleichermaßen bei der Distanzfahrt, dem Bergrennen wie auch dem Meilenrennen. „Wir hatten auf ganzer Linie gesiegt: Der Mercedeswagen war lanciert. Mercedes war Trumpf“, hält Emil Jellinek fest.
Paul Meyan, Generalsekretär des Automobilclubs von Frankreich, prägt den Satz: „Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten.“ Denn bis dahin gelten die Deutschen Carl Benz und Gottlieb Daimler zwar als Erfinder des Automobils, die Franzosen jedoch als die besseren Autobauer. Maybach teilt die Meriten mit Jellinek: „Ich und Sie sind die Erfinder des Mercedes-Wagens“, schreibt er später in einem Brief.
Prestige und Selbstbewusstsein
„Seine teilweise recht exzentrischen Ansichten und Lebensgewohnheiten ließen ihn, nachdem er das Automobil zunächst als Benutzer faszinierend fand, die ökonomischen Möglichkeiten dieser relativ neuen Erfindung frühzeitig erkennen“, beschreibt Klaus Kempter den gewitzten Geschäftsmann Emil Jellinek in der umfangreichen Familienbiographie „Die Jellineks 1820-1955“. Der neue Geschäftszweig macht in der Tat aus dem wohlhabenden Kaufmann im Laufe der Jahre einen Multimillionär: Er baut seine „Villa Mercedes“ in Baden bei Wien, wo er sich meist im Sommer aufhält, im Laufe der Jahre zu einem fast 50 Zimmer und Säle umfassenden Palast um. Auch seine Winterresidenz „Villa Mercédès“ in Nizza ist ein eindrucksvoller Bau an der bekannten „Promenade des Anglais“, Hausnummer 54, mit Blick auf das Mittelmeer. Der Selfmade-Millionär hat offenbar ein ausgeprägtes Selbst- und Prestigebewusstsein und ist stolz darauf, Zugang zum europäischen Hoch- und Geldadel zu haben und somit zu den oberen Kreisen von Nizza zu gehören. Titel und Orden findet er schick. Als er im Jahr 1903 in Österreich das Recht zugesprochen bekommt, dem Familiennamen das inzwischen berühmte Markenzeichen Mercedes hinzuzufügen, sieht er dies als eine Art Adelsbrief an. Von nun an heißt er Emil Jellinek-Mercedes und soll dies mit den Worten kommentiert haben: „Wohl zum ersten Male trägt ein Vater den Namen seiner Tochter.“
Im Jahre 1909 zog er sich aus dem Automobilgeschäft zurück. Emil Jellinek starb am 21.1.1918 mit 65 Jahren in Genf.
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