Für eine hoch entwickelte Industrienation wie Deutschland ist eine möglichst perfekte Infrastruktur unabdingbar. Das ist keine Raketenwissenschaft. Dass es damit zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen nicht zum Besten steht, weiß jeder, der häufig mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. Jetzt machen die Deutschen ihrem Ärger in einer Umfrage im Rahmen der HUK-Mobilitätsstudie 2024 deutlich Luft. Von den mehr als 4.000 Befragten mit einem Mindestalter von 16 Jahren glauben fast zwei Drittel (63 Prozent), dass der Zustand des Verkehrsnetzes die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik behindert. Noch fünf Prozent mehr sind sogar der Ansicht, dass die Infrastruktur nicht der eines modernen Industrielandes entspricht.
Wenn es um den eigenen Wohlstand geht, sind die Deutschen offenbar bereit, Einschnitte in anderen Bereichen hinzunehmen. 62 Prozent fordern Investitionen des Staates, „notfalls zulasten anderer staatlicher Aufgaben im sozialen oder kulturellen Bereich.“ Wie weit Wunschdenken und gefühlte Realität auseinander klaffen, zeigt sich, wenn man ins Detail geht. Nicht die Straßen (18 Prozent) bekommen die meiste Kritik ab, sondern das Schienennetz (35 Prozent). Das hat massive Auswirkungen auf die Einstellung der Bundesbürger. drei Viertel der Menschen unterstützen zwar die Idee, den Personenverkehr auf die Schiene zu verlagern, aber 57 Prozent sind der Ansicht, "dass das in der Praxis in Deutschland nicht funktioniert." Eine schallende Ohrfeige für die Bahn und die Politik. Dass nur 13 Prozent der Ansicht sind, dass das Verkehrsnetz aus Straße und Schiene hierzulande besser ist als in vergleichbaren europäischen Ländern, ist nur eine logische Konsequenz dieses Denkens.
Wie sich diese kritische Haltung auf das Kaufverhalten der Bevölkerung auswirkt, zeigt die Tatsache, dass 33 Prozent zunehmend im Internet einkaufen und ebenso viele seltener zum Shopping in die Innenstädte fahren. Ein weiteres Händlersterben in den Innenstädten ist die logische Folge. Allerdings dürfte dieser Habitus nicht nur an der schlechten Infrastruktur liegen, sondern auch eine Folge der COVID-19-Pandemie sein. Das merkt man auch an den sozialen Kontakten: Die Menschen (21 Prozent) treffen sich nicht mehr so oft mit Freunden und Verwandten, sondern setzen verstärkt auf digitale Kommunikation wie Videotelefonie. 19 Prozent der Befragten gehen weniger oft ins Kino, Theater oder auf Konzerte. Immerhin fast jeder Fünfte.
Auf die Frage, welchem Verkehrsmittel die Zukunft gehört, geben die Deutschen ein klares Votum ab. Das Auto bleibt mit 72 Prozent der Teutonen liebstes Kind. Das wird auch so bleiben. Allerdings haben sich die Gewichte etwas der Antriebsart verschoben. 22 Prozent der Unter-40-Jährigen sehen im Elektroauto das ideale Verkehrsmittel der Zukunft, bei den Älteren (über 40 Jahre) sind es dagegen nur noch zwölf Prozent. Damit wollen insgesamt lediglich 15 Prozent in die Zukunft stromern. Das ist der tiefste Wert seit 2021 (17 Prozent). „Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass konventionelle Autos mit Verbrennungsmotoren in der Gunst der Deutschen wieder aufgeholt haben", fasst Dr. Jörg Rheinländer, Vorstand bei der HUK-Coburg zusammen.
Der Wegfall der staatlichen Förderung beim Kauf eines Elektroautos hat bei fast jedem Vierten (24 Prozent) die Bereitschaft, sich einen Stromer zu kaufen, reduziert oder ganz verschwinden lassen. Vor allem in Berlin bewerten 32 Prozent die Anschaffung eines Elektromobils neu, in Sachsen tun dies dagegen nur 19 Prozent. Bei den Jüngeren (unter 40 Jahren) sind es sogar 38 Prozent, bei den Älteren lediglich 17 Prozent. Der Gegensatz der Generationen vertieft sich, wenn man die Altersgruppen weiter aufschlüsselt: 23 Prozent der 16- bis 39-Jährigen wollen sich in Zukunft ein Elektroauto kaufen, bei den über 40-Jährigen sind es magere acht Prozent. Bemerkenswert ist, dass das Fahrrad seit dem Corona-Hoch (2021: 26 Prozent) an Bedeutung verliert. Aktuell sehen 16 Prozent im Drahtesel ein Verkehrsmittel, das ihre Anforderungen in naher Zukunft (etwa fünf Jahre) erfüllt. Allerdings fällt auch das Zu-Fuß-Gehen von 30 auf 22 Prozent. Interessanterweise wünscht sich nach wie vor jeder Vierte (41 Prozent) ein besseres Angebot von Bus und Bahn beim öffentlichen Personennahverkehr - und das bitte günstiger als das aktuell der Fall ist (40 Prozent).
Auffällig ist, dass bei den Deutschen die Angst von Dogmatismus im Zusammenhang mit zukünftigen Mobilitätskonzepten wächst. Jeder Vierte befürchtet eine "zu starke öffentliche Bevormundung" – im Vorjahr war es erst jeder Fünfte. Damit einher geht die Sorge vor "Verlust an Individualität und Selbstbestimmung", die von 19 Prozent auf 23 Prozent gestiegen ist. Interessanterweise ist Vorahnung, dass man sich zu einseitig auf batteriebetriebene Elektroantriebe konzentriert gegenüber der letzten Untersuchung deutlich gefallen (von 33 Prozent auf 26 Prozent). Das führt zur Frage, wer den für die Klimaziele auf das tägliche Pendeln ins Büro verzichten würden. Die größten Homeoffice Fans sitzen in Hamburg und Berlin (58 Prozent), den persönlichen Kontakt mit den Arbeitskollegen wollen die Bewohner von Mecklenburg-Vorpommern pflegen. Nur 35 Prozent wären bereit, daheim zu arbeiten.
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