Technik: Abgasnorm Euro 7 hat fatale Folgen für Industrie und Kunden

Alarmstufe Rot

Technik: Abgasnorm Euro 7 hat fatale Folgen für Industrie und Kunden: Alarmstufe Rot
Erstellt am 10. Februar 2023

Kommt die Abgasnorm Euro 7 wie geplant, hätte das fatale Auswirkungen auf die Automobilindustrie und die Kunden. Immer mehr Experten befürchten einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz aus China und den USA. Es formiert sich ein zunehmender Widerstand aus Politik und Wirtschaft, während Renault-Chef Luca de Meo einen Brandbrief schreibt.

Luca de Meo macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. „Wir sollten die Zukunft gestalten und nicht die Vergangenheit regulieren“, schreibt der als Präsident der European Automobile Manufacturers' Association (ACEA) agierende Renault-Chef in einem offenen Brandbrief an die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder. Der Grund, warum der Präsident des Automobilverbandes der europäischen Automobilindustrie sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit derart drastischen Worten an die Politiker wendet, ist die geplante Einführung der Abgasnorm Euro 7. Der Italiener rechnet vor, dass bei einer Einführung die Autos um sieben bis zehn Prozent teurer würden und eventuell sogar bis zu 300.000 Jobs in der Autobranche gefährdet seien. Bei einem 20.000-Euro-Fahrzeug wären das zwischen 1.400 und 2.000 Euro, während die EU-Kommission die Mehrkosten mit gerade einmal 150 bis 450 Euro beziffert. Gerade im Kleinwagenbereich würden die Autos spürbar teurer und das Angebot deutlich knapper. Mit einem Modell wie dem Ford Fiesta ist schon eine bekannte Modellreihe auf dem ewigen Parkplatz gelandet. Weitere andere Modelle aus dem Kleinwagensegment sollen folgen.

Renault-Chef und ACEA-Präsident Luca de Meo

Die Konsequenz liegt laut die Meo auf der Hand. Wenn die neuen Autos immer teurer und dadurch für viele unbezahlbar werden, fahren die Menschen einfach ihre aktuellen Fahrzeuge länger. „Was bedeutet, dass ältere Autos mit höheren Emissionen länger auf den Straßen bleiben“, so de Meo. Damit würde mit der Einführung der Euro-7-Norm genau das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt ist, indem man die Dekarbonisierung verlangsamt. Schon jetzt liegt das Durchschnittsalter der Fahrzeuge auf deutschen Straßen laut dem TÜV Süd bei durchschnittlich 10,1 Jahren - vor drei Jahren waren es noch neuneinhalb Jahre.

„Der veröffentlichte Vorschlag der EU-Kommission setzt nicht auf Ausgewogenheit und Machbarkeit, sondern auf unrealistische Extrem-Ziele. Für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sind die Grenzwertsenkungen nominell zwar geringer, allerdings ist das Timing nicht darstellbar: Die Entwicklung und Genehmigung eines entsprechenden Antriebs bei einer Vorlaufzeit von nur einem Jahr nach erwartetem Abschluss der delegierten Rechtsakte ist schlichtweg nicht realisierbar“, moniert Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, „der EU-Kommission sind diese Tatsachen bewusst, sie wurden aber offenbar bewusst ignoriert. Klar ist: Wir brauchen dringend Verbesserungen, damit der Beschluss für alle sinnvoll ist.“ Wie umfassend der Regulierung-Eifer der Brüsseler Kommission ist, zeigt die Tatsache, dass auch Grenzwerte für die Partikelemissionen von Bremsen und Mikroplastikabrieb von Reifen festgelegt werden. Das betrifft insbesondere auch Elektrofahrzeuge, die aufgrund der Akkupakete schwerer sind als vergleichbare Verbrenner. Ganz unumstritten ist auch diese Maßnahme nicht. „Dass es bei Bremsen in Zukunft Grenzwerte für den Partikelausstoß geben soll, unterstützen wir prinzipiell. Auch wenn der angepeilte Wert von sieben Milligramm pro Kilometer schon sehr ambitioniert ist und die aktuelle Messtechnik das kaum verlässlich messen kann“, erklärt ein BMW-Experte. Damit nicht genug, denn nicht nur die Autohersteller haben Probleme, die Grenzwerte zu erreichen, sondern es wird auch immer schwieriger entsprechende Zulieferer zu finden. Für einige lohnt es schlicht nicht mehr, noch Bremsen zu entwickeln, die dann in Verbrennermodellen verbaut werden, da deren Ende sich immer mehr ankündigt.

Problematisch wird auch die Zeitschiene, denn nach aktuellem Stand soll die Euro-7-Norm für PKW und leichte Nutzfahrzeuge bereits am 1. Juli 2025 kommen und im Unterschied zu bisherigen Verschärfungen wohl auch für Bestandfahrzeuge gelten. Bisher trafen neue Abgasnormen neu zugelassene Fahrzeuge nur dann, wenn diese eine Typgenehmigung nach dem Inkrafttreten der geänderten Regelungen bekamen. Diesmal würde Euro 7 auch für solche Fahrzeuge gelten, die schon länger auf dem Markt und mit einer entsprechenden älteren Genehmigung unterwegs seien. Die Folgen wären durchaus schmerzhaft, da es für ein Modell, das nur noch ein oder zwei Jahre verkauft wird, für den Autohersteller kaum lohnen würde, dies technologisch bei Motor, Bremsen oder Reifen entsprechend der geänderten Regelungen nachzuschärfen. Folglich würden viele Automodelle mit der Einführung von Euro 7 zum 30. Juni 2025 wohl auslaufen, obschon diese sonst noch hätten länger verkauft werden sollen. Diese Angebotslücken könnten bei einzelnen Herstellern ähnlich groß sein, wie durch Halbleiterkrise oder Akkumangel.

Damit enden die düsteren Konsequenzen der geplanten Einführung der Euro-7-Abgasnorm noch längst nicht. Die europäische Automobilindustrie könnte im Vergleich mit der US-amerikanischen und vor allem der chinesischen Konkurrenz einen deutlichen Wettbewerbsnachteil erleiden. „Während Europa den Weg zu Null-Emissionen reguliert, setzen andere Regionen Anreize für diesen Weg. Die Vereinigten Staaten und China unterstützen und fördern ihre Industrie massiv, vor allem durch den Inflation Reduction Act (IRA) und den Plan Made in China 2025 (MIC)“, erklärt Luca de Meo. Das bedeutet, dass die europäischen Autobauer finanzielle Ressourcen in die Umsetzung der Euro-7-Abgasnorm stecken müssen und es damit noch schwerer wird, im harten Verdrängungswettbewerb der Elektromobilität zu bestehen. Der ACEA-Präsident kalkuliert, dass die geplante Euro-7-Umsetzung in der jetzigen Form die Hersteller von leichten und schweren Nutzfahrzeugen zwingen würde, Milliarden von Euro in die Motor- und Abgasnachbehandlungstechnologie zu investieren, und das bei minimalen Umweltvorteilen. Geld, das bei der Entwicklung von Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeugen fehlt. Was sich mit der Einführung der neuen Norm ändern soll, ist auch das Messverfahren. Im Unterschied zu aktuellen Prüfungen, sollen Fahrten unter Volllast, in der Innenstadt oder bei heißen Temperaturen auch bei kaltem Motor ebenfalls Einfluss auf die Messdaten haben.

Dazu kommt, dass laut de Meo bis zum Jahr 2030 werden nicht mehr als fünf Prozent der für die Batterieproduktion benötigten Rohstoffe aus Europa stammen. Diese Abhängigkeit verschlimmert die Auswirkungen nur noch. Tritt dieses Szenario ein, befindet die europäische Automobilindustrie sich in einer Zwickmühle, aus der ein Entrinnen kaum mehr möglich ist. Damit gerät eine Kernindustrie, auf der der Wohlstand vieler europäischer Länder beruht, in eine gefährliche Schräglage, die auch Zulieferer und andere angeschlossene Industriezweige mit in den Strudel reißen würde. Die Auswirkungen auf die europäischen Volkswirtschaften wären fatal. Das ruft die Ministerpräsidenten der drei Auto-Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen auf den Plan.

In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, der der deutschen Presseagentur vorliegt, zweifeln deutsche Politiker wie Markus Söder (CSU), Winfried Kretschmann (Grüne) und Stephan Weil (SPD) parteiübergreifend an dem Sinn der neuen Abgasnorm, die bereits 2025 Realität werden soll. „Ob eine weitere Normenverschärfung wegen anderer diffuser Emissionsquellen überhaupt zu einer weiteren wesentlichen Verbesserung der Luftqualität führt, scheint uns eher fraglich“, heißt es in dem Schriftstück. Die Länder-Regierungschefs haben keinerlei Lust, die Suppe auszulöffeln, die Brüssel ihnen einbrockt und mahnen im weiteren Verlauf des Schriftstücks an, dass gesellschaftlicher Nutzen und volkswirtschaftliche Kosten müssten in einem angemessenen Verhältnis stehen. Fraglich, ob dieses Alarmsignal noch etwas ändern kann.

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