Zukunft des Mercedes-Benz-Autohandels

Neue Wege: Stuttgarts gewagter Plan vom Direktvertrieb

Zukunft des Mercedes-Benz-Autohandels: Neue Wege: Stuttgarts gewagter Plan vom Direktvertrieb
Erstellt am 22. April 2024

Mit der Elektromobilität ändert sich auch der Verkauf der Autos. Um Geld zu sparen, nehmen viele Autohersteller das Heft mit dem Direktvertrieb selbst in die Hand. Doch auch dieser Schritt muss wohl überlegt sein, sonst wird er zum Rohrkrepierer.

Die Meldung sorgte für ein gehöriges Rauschen im Blätterwald. Mercedes verkauft seine Autohäuser! Ausgerechnet der Vorzeige-Autobauer! Auch wenn manche fälschlicherweise kurz davor waren, den Untergang des Abendlandes auszurufen, gibt es laut Mercedes für diesen Schritt doch handfeste Gründe. Offenbar kostet eine Modernisierung der Handelsstützpunkte eine Stange Geld, angeblich um die 800 Millionen Euro. Geld, dass Mercedes an anderer Stelle angesichts der Investitionen in die Elektromobilität und der stärker werdenden Konkurrenz aus China dringender benötige. Ultimate Luxury hin, Tradition her. Gegenüber der Bild-Zeitung wird ein Mercedes-Sprecher konkret: „Die Elektrifizierung, Digitalisierung und stetig wandelnde Kundenbedürfnisse stellen neue Anforderungen an den zeitgemäßen Vertrieb.“

Ohne Strategie droht ein Verkaufsdesaster

Das bedeutet Direktvertrieb und nicht mehr ausschließlich per Händler, wie es fast ein Jahrhundert lang üblich war. Die Transformation der Automobilindustrie ist in vollem Gange. Auf allen Ebenen. Doch mit ein paar Webseiten hier und eine Umstrukturierung der Lager ist es beim D2C-Modell (Direct to Customer), also dem Direktvertrieb vom Hersteller zum Käufer, nicht getan. Es müssen wohldurchdachte Strategien her, sonst droht ein Verkaufsdesaster. „Viele Hersteller und Importeure wandeln ihren Vertrieb vom Händler- zum Direktvertriebs-Modell um und lösen damit einen tiefgreifenden Wandel in ihrem Netzwerk und in der Kundeninteraktion aus“, erklärt Johannes Trenka von der Unternehmungsberatung Accenture.

China greift nach der Autoindustrie

Klar ist, dass der Wandel viel tiefgreifender sein muss als der Verkauf. Das haben auch die Hersteller erkannt und den Wechsel bereits eingeläutet. Die normative Kraft des Faktischen lässt den etablierten Autobauern auch keine andere Wahl, denn die asiatischen Konkurrenten nutzen die neue Welt und die damit verbundenen Chancen nicht nur bei den Antriebstechnologien, um Augenhöhe herzustellen und die schlankeren Vertriebsmodelle zu nutzen. Laut einer Accenture-Studie sind in den vergangenen fünf Jahren etwa 25 neue Automarken nach Europa gekommen. Die Mehrzahl aus China. Hersteller wie BYD, Nio, GWM mit all seinen Untermarken wie Ora oder Lynk & Co praktizieren dieses Vertriebsmodell mit all seinen Konsequenzen schon seit geraumer Zeit.

Der "Vertrieb der Zukunft" darf kein Rohrkrepierer werden

In der Untersuchung haben die Analysten von Accenture fünf Bereiche identifiziert, die die Automobilhersteller umsetzen müssen, damit aus dem neuen Vertriebsmodell kein Rohrkrepierer wird. „Der Direktvertrieb bietet eine Gelegenheit für eine tiefgreifende Transformation des gesamten Unternehmens. Der Schlüssel liegt in der Nutzung der Daten aus direkter Kundeninteraktion und aus dem Markt über den Vertrieb hinaus. Das erlaubt es den Herstellern, datengetriebene Entscheidungen zu treffen und die eigene Wertschöpfungskette bedarfsgerecht und kundenzentriert zu gestalten“, sagt Johannes Trenka.

Dient Tesla als großes Vorbild? 

An erster Stelle steht die Lagerverwaltung. Die vollständige Kontrolle über Lagerbestände und Vertriebskanäle eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten. Autohersteller können damit genauere Bedarfsprognosen erstellen und die Logistik verbessern, um die Effizienz zu maximieren. Im Endeffekt kommt der Kunde so schneller an sein Auto. Tesla setzt viele Elemente dieses Konzepts bereits um und erreicht so Lieferzeiten, die bis zu 80 Prozent schneller sind als die der Konkurrenz.

Hand in Hand mit der Umstellung der Lagerlogistik geht eine deutliche größere Flexibilität der Lieferkette einher. Nur wenn diese gegeben ist, steht das Auto auch nach kurzer Zeit beim Käufer. Da die Händler wegfallen, können diese auch kein vorgegebenes Kontingent an Fahrzeugen mehr abnehmen. „Dies stellt eine Chance dar, die Agilität der Lieferkette massiv zu steigern. Die Flexibilität in der Produktion lässt sich stark steigern durch genaue Bedarfsprognosen, Markttransparenz in Echtzeit und Mehrmarken-Fabriken“, macht Johannes Trenka klar. Ist diese Aufgabe erst einmal gestemmt, kann man auch schnell auf eine sich ändernde Kundennachfrage reagieren.

Weniger soll mehr sein

Die Umstellung beginnt schon bei der Entschlackung der Produktion. Die Zeit der meterdicken Ausstattungslisten ist vorbei. Eine reduzierte Variantenvielfalt verbilligt nicht nur die Produktion, sondern vereinfacht auch den Bestellprozess für den Käufer. Tesla macht es vor. Mit ein paar Klicks zum Auto ist keine Vision, sondern Geschäftspraktik. Diese Umstellung der Fahrzeugkonfiguration hat weitreichende Konsequenzen. Letztlich führt es zu Fahrzeugen, die sich mehr durch Software als durch Hardware unterscheiden. Eben das viel zitierte „Software defined Vehicle“.

Die Hersteller können auch die D2C-Verkäufe nutzen, um Echtzeitinformationen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu generieren und verbessern so die Kundenzufriedenheit. Der Käufer erkennt schon bei der Bestellung, wie sich seine Konfiguration auf die Lieferzeit auswirkt. „Letztendlich geht es um Transparenz sowie um die Geschwindigkeit der Produktlieferung. Accenture-Daten zeigen, dass nur jeder fünfte Kunde bereit ist, länger auf die Farbe seines gewählten Fahrzeugs zu warten, während es bei anderen Funktionen wie Sitzheizung viel mehr Flexibilität gibt“, so Johannes Trenka.

Jetzt muss Stuttgart zeigen wie es geht!

Die Umstellung des Vertriebsmodells wirkt sich auch auf die Preisstrategie aus. Die wird zum einen konsistenter, was sich vielen Kunden wünschen und zum anderen flexibler. Der Hersteller kann schnell auf neue Trends reagieren. „Da der Preis für fast drei von vier Autokäufern immer noch der wichtigste Faktor bei der Kaufentscheidung ist, kann die Möglichkeit, die Preise schnell an Marktveränderungen anzupassen, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bieten“, fasst Johannes Trenka die Vorteile zusammen. Allerdings müssen alle Elemente der Vertriebsumstellung umgesetzt werden, damit ein Rad in das andere greift, sonst bleibt die groß angelegte Umstrukturierung Stückwerk, verpufft und wird am Ende zur finanziellen Belastung.

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