Klassische Form moderne Technik! Das ist nicht nur das Geheimrezept der Retrowelle, sondern das ist eine Überlegung die Auto-Enthusiasten in aller Welt umtreibt. Immer schon! In den USA ist es geradezu schick, den Klassiker mit einem modernen V8 auszustatten und in unseren Breitengraden befassen sich VW-Freaks damit, den neuen TSI-Motor in alte Gölfe zu fummeln. Warum sollte man nicht auch mal einen modernen Mercedes-Motor umpflanzen? Zum Beispiel in einen Mercedes Youngtimer wie den Mercedes 190 E.
Wir haben da unseren OM651 mal in einen Baby-Benz gepackt. Wollt ihr den nicht mal fahren?, ein interessantes Angebot hatte uns Pressesprecher Norbert Giesen da gemacht. Nur hatten wir zu unserer Schande - am Anfang gar nicht so geschnallt, was der Kollege aus der Presseabteilung uns da angeboten hatte.
Als das Thema bei der nächsten Redaktionssitzung angesprochen worden ist, waren wir uns sicher: Baby-Benz? Na klar, da meinen die ihre neue C-Klasse mit!, Die basteln doch nicht an einem alten 190er rum., Sollten wir machen, oder? Wir sagten also zu und waren gespannt, was uns da erwarten würde. Denn einen C 250 CDI hatten wir ja schon getestet eigentlich!
Ein nicht ganz normaler Mercedes 190 Bj. 1989
In Stuttgart dann die Riesenüberraschung. Auf uns wartete nicht eine C-Klasse, sondern tatsächlich ein echter Baby-Benz. 20 Jahre alt, in Blau mit Gullideckeln und einem respektablen Zustand für sein Alter. Und zu unserem großen Erstaunen steckte unter der Haube tatsächlich der 204 PS starke 250 CDI. Übrigens: 204 PS hatte damals auch der 190E 2.5-16 Evo I
Und dann dachte unsere Crew: Donnerwetter, wie würden die 500 Nm wohl mit dem Leichtgewicht umspringen? Nach kurzer Unterweisung durch den betreuenden Ingenieur Hartmut Götzen enterten wir mit fiebrigem Blick das Cockpit! Den Baby-Benz haben Götzen und seine Kollegen, die sonst für den Bau der Show-, Messe- und Konzeptfahrzeuge bei Mercedes-Benz verantwortlich sind, übrigens nicht etwa aus irgendeinem firmeneigenen Fundus gezogen, sondern für rund 4.000 auf dem freien Markt gekauft.
Baby-Benz mit Bums: 204 PS verleihen Flügel und das mit Blue Efficiency-Prädikat!
Der Charme der Achtziger
Der klassische Charme der Achtziger empfing uns und erinnerte uns daran, dass die Uhren damals schon ein wenig anders tickten. Die Gestaltung jener Tage war insgesamt deutlich nüchterner. Früher war nicht alles besser, vieles einfach nur anders. Zum Beispiel die Ledersitze. Die Anordnung der Bedienelemente und einige Schalter erinnerten uns an unseren Redaktions-W126. Die Familienähnlichkeit ist im Inneren nicht zu übersehen! Aber auch an den 72 PS Diesel mussten wir denken. Der galt damals als topmodern, nur Dynamik schrieb der damals noch mit ü und zwei n.
Der Evo 1 hat keine Chance!
Da langt der aktuelle 250 CDI bekanntlich ganz anders hin, freilich ohne in unfeine Trinksitten zu verfallen. Und deswegen wollen wir jetzt unbedingt das Triebwerk anlassen. Schon die ersten Meter zaubern ein Lächeln ins Gesicht! Was für ein heißes Baby ! Ein Wunder-190er. Der 2,1 Liter Selbstzünder schnipst den Mercedes 190 nahezu mühelos durch alle Drehzahl- und Geschwindigkeitsbereiche. Tempo 100 sind nach 6,2 Sekunden drin. Rund 240 Km/h sind damit drin! erläutert uns Hartmut Götzen und wir glauben es ihm gern! Ein gleichstarker 190E 2.5-16 Evo I benötigt für den gleichen Sprint im günstigsten Fall 7,7 s und schafft 230 km/h. Wer hätte das gedacht?
Geschaltet wird über jenes moderne 6-Gang Getriebe, das serienmäßig mit dem OM651 verbandelt ist. Das klassische 4-Gang-Getriebe hätte die Urkräfte wohl nicht verdaut. Aber auch hier will mit ordentlich gas und sanft schleifender Kupplung angefahren werden, sonst kommt der 190er nur hoppelnd in Fahrt. Das nannte man einst Bonanza-Effekt. Das Team um Peter Lehmann musste dafür allerdings den Getriebetunnel sanft aufweiten, sonst hätte es nicht gepasst. Wie eng es unter der mit dem vertrauten Wurzelholz ausgekleideten Konsole wirklich zugeht, davon zeugt der dort platzierte Cursor, der für die Spiegelverstellung zuständig ist. Oder besser gesagt war, denn der Pinnuppel ist nur noch von oben eingepfropft und hat keinerlei Verbindung mehr. Zu wenig Platz!
Das war aber knapp!
Hauchdünn geht es auch unter der Motorhaube zu. Aber ehrlich gesagt: wäre da nicht die fehlende Plastikabdeckung, der Betrachter könnte auch auf die Idee kommen, der Motor und die Bucht gehörten schon immer zusammen. Das Entwicklungsteam hat den Motor perfekt integriert. Selbst für den Kühler der Ladeluftkühlung wurde ein angemessener Platz gefunden. Dass die Lenkung ein wenig umgelenkt werden musste und eine flacher bauende Ölwanne aus dem Sprinter zum Einsatz kommen, das merkt der Betrachter wohl auch auf den zweiten Blick kaum. Die Batterie wanderte allerdings in den Kofferraum. Diesmal aber nicht aus Gründen einer besseren Balance, sondern weil für den Energiespeicher wirklich kein Platz mehr gewesen ist!
Im Heck, da wird geschummelt
Aber was ist das für eine Kiste, die da noch im Kofferraum untergebracht ist? Ist die für Testmessungen? Nein, schmunzelt Hartmut Götzen, damit schummeln wir dem Motor vor, er säße immer noch in einem C250 CDI! Denn Zündung an und los! ist bei so ein modernen Motor nicht mehr drin, die Motorelektronik verlangt ein ausgewogenes und abgestimmtes Bild an Signalen. Ausgestrahlt von beispielsweise ABS und ESP. Nur hat der Mercedes 190 diese Systeme gar nicht. Und deswegen gibt es im Kofferraum diese Box, die simuliert, es ist alles drin und alles okay!
Warum macht Mercedes das?
Vermutlich weil sie schon ein bisschen autoverrückter sind, als sie eigentlich rauslassen dürfen und vielleicht ist diese Idee auf die gleiche Weise entstanden, wie viele solcher Projekte entstehen. Aus der Begeisterung und beim gegenseitigen Rumspinnen. Denn eine solche Verwandlung ist für Auto-Enthusiasten aus sich selbst heraus schon eine reizvolle Herausforderung. Aber hinter diesem Projekt steckt auch eine überzeugende Botschaft: Zeigt dieses Projekt doch deutlich, welche Fortschritte Mercedes in der Dieseltechnologie in den letzten Jahren gemacht hat.
Baby Benz sparsamer als die C-Klasse
Oft wird beklagt, dass die Autos heute auch nicht deutlich sparsamer als früher seien. Der Mercedes 190 mit OM651 zeigt, wozu die modernen Motoren wirklich imstande sind. Mit ihm lassen sich Sportwagen-Fahrleistungen realisieren bei einem Durchschnittsverbrauch von 4,9 Liter Diesel auf 100 km! Die C-Klasse benötigt rund 5,1 l. Kunststück, wiegt der Mercedes 190 doch 400 kg weniger. Der vom OM651 herausgearbeitete Fortschritt wird einerseits durch das Gewicht der heute zum Standard zählenden Sicherheitspakete wie z.B. Airbags, Elektronik und steifere Karosse aufgefressen , aber auch durch die Lust an der Mehrausstattung z.B. im Hifi-Bereich! Dass Mercedes-Benz im Bereich Sicherheit keine Kompromisse mehr eingeht, dürfte klar sein.
Das Diagramm macht deutlich wie weit weit die Motorenentwicklung beim OM651 gekommen ist!
Die Nebenwirkungen einer Testfahrt
Die kurze Testfahrt macht Lust auf mehr. Die Fahrleistungen liegen bei dem optisch unscheinbaren 190er auf Evo1-Niveau. Nur bei deutlich besserer Elastizität. Beschleunigungen aus dem Teillastbereich heraus gehen wie vom Katapult geschossen vonstatten. Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, das einen nicht wirklich kalt lassen kann. Welches Fazit sollen wir nun aus dieser ungewöhnlichen Testfahrt ziehen? Eine Kleinserie wird Mercedes-Benz selbst im hauseigenen Young Classics-Programm nicht auflegen. Und als Bauvorlage für einen Tuner ist das Ganze vermutlich viel zu teuer. An ein fahrbares Stimmungsbarometer für ein mögliches Retro-Projekt wollen wir obwohl es gerade bei der Marke mit Stern seinen Reiz hätte nicht ganz glauben. Aber vielleicht ist es auch der kleine Ausblick auf einen neuen und sicher auch leichteren Kompakt-Benz. Ob wir den dann wieder Baby-Benz nennen? Wir werden es sehen!
Mercedes-Fans-Facts
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Mercedes 190 D Blue Efficiency
Motor: 4-Zylinder-Reihenmotor, 4 Ventile pro Zylinder, 2143 ccm Hubraum, Verdichtung 16,2 : 1
Leistung: 204 PS bei 4200/min, 500 Nm bei 1600/min
Getriebe: 6-Gang, längere Hinterachsübersetzung
Fahrwerk: Dreilenker-Vorderachse, Raumlenker-Hinterachse, Schraubenfedern mit Gasdruckstoßdämpfern und Stabilisatoren rundum
Bremsanlage: Scheibenbremsen rundum
Felgen: 7 x15" Leichtmetallfelgen
Bereifung: 205/55 R15
Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 240 km/h elektronisch abgeregelt, 0-100km/h in 6,2 Sek.
Test-Verbrauch: 4,9 Liter auf 100km,
Leergewicht: 1175 kg
6 Kommentare
Daniel Strassnig
8. Januar 2018 22:14 (vor über 6 Jahren)
Sascha Kellert
8. Januar 2018 20:32 (vor über 6 Jahren)
Benzfan1996
19. April 2013 21:53 (vor über 11 Jahren)
Mercedes-Fans.de
9. November 2010 10:04 (vor über 14 Jahren)
16V-Schrauber
9. November 2010 10:01 (vor über 14 Jahren)
HanSchopp
13. August 2009 13:45 (vor über 15 Jahren)
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